Warum Spiritualität nichts mit Einsiedelei und Schlafen auf Holzbrettern zu tun hat.

Ich glaube, es gibt ein grundlegendes Missverständnis um den Begriff „Spiritualität“.
 
Manchmal dümpelt er in finsteren Teichen von Verzicht und Selbstaufgabe herum, genährt von der Idee der Abgeschiedenheit, des Einsiedlertums und dem Bild auf harten Brettern zu schlafen.
 
Manchmal findet man ihn auch in „abgespaceten“ Sphären wieder, in denen es scheinbar keine Probleme mehr gibt. Ein Zustand von ewig anhaltender Freude. Love – Peace – und meine dösenden Hunde habe ich einstweilen mal im Rucksack ganz unten verstaut. Hoffe sie werden ewig schlafen.
 
Ich bin ein spiritueller Mensch und nächtige weder in einer einsamen Hütte, noch habe ich den Zustand von Freude-Friede-Eierkuchen abonniert.
Und ich mutmaße jetzt einfach mal so ins Blaue hinein, selbst wenn wir ernsthaft praktizieren, werden wir nicht weniger Probleme haben. Im Gegenteil. Die Probleme werden mehr, weil wir unsere Neuröschen besser sehen. Ja, ich spreche hier aus eigener Erfahrung.
 
Und mit dieser Erkenntnis kann dann schon mal die ganze Industrie der Heilsversprechen einpacken. Nein, auch wenn der richtige Stein um unseren Hals hängt und wir die teuerste Yogamatte bespielen, es wird nicht angenehmer.
Dieselben Probleme. Derselbe Alltagsknatsch. Dasselbe Liebesdilemma.
Warum also überhaupt auf den Weg machen?
 
Weil ich davon überzeugt bin, dass unser tiefstes Bedürfnis jenes ist, uns mit „dem Heiligen“ zu verbinden. Diese Verbindung alldurchströmend zu erleben und die Illusion der Abgetrenntheit zu überwinden.
 
Diese Welt als etwas Heiliges zu erleben, ihre Schönheit in Hingabe zu verehren, das ist mein Antrieb, jeden Tag zu praktizieren. Denn die Praxis schärft meine Wahrnehmung, die Welt als das zu sehen, was sie ist. Ein Paradies, in dem du ich bist. Und ich du.
 
Ich praktiziere, um aus der gängigen Zeit- und Raumwahrnehmung aus zu steigen und meinen wahren Platz einzunehmen. Das Ende im Anfang zu spüren. Und umgekehrt.
In meine Rohheit zurückzukehren.
Zaubern zu lernen.
 
Ja ich unterrichte Yoga.
Ich kann inspirieren und lehren.
Ich bin echt. Und ich werde krank, habe Unfälle,
verliere Menschen, die ich liebe.
Ich erfahre Ablehnung und manchmal bekomme ich große Angst und überlasse dem Ego das Ruder.
Manchmal kämpfe ich mit der Liebe. Wie eine Wilde.
Manchmal da glaube ich, jetzt muss es sein.
Aber ich lebe das, was ich lehre.
Manchmal auch mitten im Chaos.
 
Zeiten von Weisheit, innerer Führung und tiefem Mitgefühl wechseln sich ab mit Angst, Konfusion und Aufreibung.
Ich übe mich im Beobachten.
Nicht in der Rastlosigkeit und im Widerstand zu verhärten, sondern weich zu bleiben. Geduldig mit mir und dem Leben.
 
Spiritualität braucht unsere Bereitschaft, uns nicht vom Geist konsumieren zu lassen. Der Bedürftigkeit des Verstandes ins Auge zu schauen, der – egal wieviel du hast – immer mehr möchte.
 
Spiritualität braucht unsere Bereitschaft, die tagtäglichen Geschichten, die wir uns erzählen, zu demaskieren. Denn die Muster unseres Denkens, gemeinsam mit der Spannung im Körper und dem Käfig um das Herz lassen uns an einem Selbstbild festhalten, das niemals dem wahren Selbst auch nur nahe kommt.
 
Spiritualität braucht unsere Bereitschaft, uns direkt mit den Energien von Haben-Wollen, Ärger, Stolz, Angst und Zweifel zu konfrontieren. Sie sind es, die unser Herz in den Käfig sperren.
 
Und dann, wenn wir die ersten Schutzschichten unserer Abneigungen und Süchte entfernen, erleben wir einen neuen Ort in uns: Den der Einsamkeit, des Schmerzes, der Trauer. Ein Ort höchster Potenz, ein Ort des Mutes, um der Liebe auch mitten im Leid treu zu bleiben. Hier lernen wir Vertrauen und eine neue Qualität der Herz-Zartheit.
 
Wir kehren zurück in die radikale Einfachheit der direkten Erfahrung.
Und das hat wenig mit Holzbrettern oder ewig währendem Himmel-Hoch-Jauchzen zu tun.
Sondern mit dem Mut, dich zu spüren, wie du bist.
In allen „unerwünschten“ Facetten, mit allen Ecken und Kanten.
Und diese nicht zu verstecken.

Auch wenn du YogalehrerIn bist.
Gerade wenn du YogalehrerIn bist.
Deine eigenen Probleme zu nutzen, um dich zu einem mitfühlenderen Menschen zu entwickeln.
So kehren wir zurück ins Echt-Sein.
Ins Mit-Uns-Sein.
Pur und ungeschönt.

Umgeben von Menschen, die das nicht nur aushalten, sondern mit dir hinein schmelzen, ins „echt“.
Das macht uns stark und sanft zu gleich.
Lässt uns die größte Kraft in der Weichheit finden.
Tiefste Geborgenheit und Freiheit zu gleich.
Gegensätze vereinen.
Transformation in eins.

Das ist für mich Spiritualität.
In tiefer Liebe und höchster Wertschätzung für dein Da-Sein
 
 
Danja